Die Oxenwege
Ein Überblick
Ein Autor hat den historischen Stoff rund um die alten Ochsentriebwege mit „Wildwest in Europa“ bezeichnet. Es ist heute nur noch schwer vorstellbar, dass zwischen 1350 und 1750 allein aus der ungarischen Tiefebene und aus Transsylvanien jährlich bis zu 200.000 Grauochsen nach Mitteleuropa getrieben wurden, um den Fleischhunger vor allem der Bürger der aufstrebenden Städte zu befriedigen.
Ochsenhandel – weit verbreitet
Ochsenhandel gab es nicht nur mit Ungarn. So importierten norddeutsche Städte Ochsen aus Dänemark, mittel- und ostdeutsche Städte Ochsen aus Polen. Doch der mit Abstand größte Lieferant von Ochsenfleisch im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit war Ungarn. Ungarische Grauochsen fanden Abnehmer in den Städten Österreichs und Mährens, Großabnehmer waren aber zum Beispiel auch oberitalienische Städte, allen voran die Stadt Venedig. Die Hälfte der ungarischen Ochsen wurden aber nach Süddeutschland exportiert. Die größten Abnehmer hier scheinen die Reichsstädte Nürnberg und Augsburg gewesen zu sein, die damals zu den bedeutendsten Handelsstädten Europas zählten. Ungarische Ochsen finden wir jedoch auch in Frankfurt, Mainz und Straßburg.
Warum Ochsenhandel?
Um ans Ziel zu gelangen, mussten die Ochsenherden also oft weit über 1.000 Kilometer getrieben werden – ein gewaltiger Aufwand, der nicht nur durch die hohe Qualität des ungarischen Ochsenfleischs erklärt werden kann. Hauptziel der Ochsentriebe waren die Städte. Sie begannen sich im Hochmittelalter von der Umklammerung der Fürsten zu lösen, erhielten immer mehr Rechte zur Selbstverwaltung und kamen durch Handel und Gewerbe zu Reichtum und Macht. Die Bürger dieser Städte liebten den Luxus und aßen gerne Fleisch. So viel Fleisch, dass es die kleinräumig strukturierte Landwirtschaft der Region nicht liefern konnte, die weitgehend auf Selbstversorgung ausgelegt war. Dazu kam, dass durch die Bevölkerungszunahme seit dem 15. Jahrhundert landwirtschaftliche Flächen zunehmend für die Produktion von einfachen Nahrungsmitteln wie Getreide benötigt wurden. Deshalb ging man auf die Suche nach Fleischquellen und wurde zum Beispiel in Ungarn fündig.
Der lange Weg nach Westen
Hauptumschlagplatz für ungarische Ochsen war der Wiener „Ochsengries“, der Ochsenmarkt in Wien. In der Regel schickten die Metzger Aufkäufer direkt nach Wien oder andere Ochsenmärkte in der österreichisch-ungarischen Grenzregion, um dort Ochsen zu kaufen. Die Herden waren unterschiedlich groß, den historischen Forschungen zufolge umfassten sie meist zwischen 60 und 200 Tiere. Forscher nehmen an, dass eine solche Herde von einem ‚Ochsenkapitän‘ geleitet und von mehreren Treibern begleitet wurde. Die Herden machten sich meist im Sommer auf den Weg und legten am Tag zwischen 15 und 25 Kilometer zurück. Die Triebe folgten möglichst den gras- und wasserreichen Flussniederungen, wo Tränke und Fütterung keine allzugroßen Probleme darstellten. Allerdings war es nach langen Triebstrecken unerlässlich, die auf dem Weg abgemagerten Tiere in Weide- und Mastzonen wieder aufzumästen.
Das Beispiel Augsburg
Der Ochsenhandel der freien Reichsstadt Augsburg ist besonders gut erforscht. Die schwedische Historikerin Christina Dalhede hat den Ochsenhandel durch umfangreiches Quellenmaterial vor allem für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts genau nachvollzogen und dokumentiert. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass zu dieser Zeit jährlich 6.000 bis 8.000 Ochsen von Ungarn nach Augsburg getrieben wurden. Zwei Haupttriebwege nach Augsburg werden von ihr beschrieben: Der südliche von der österreichischen Grenze über Landshut und das Dachauer Land, der nördliche über Neustadt und Geisenfeld über das Schrobenhausener Land. Diese beiden Triebwege waren Ausgangspunkt für die Wiederbelebung dieser alten Handels- und Kulturwege von Ungarn nach Bayern.
Wiederentdeckung dieses alten Kulturwegs
Im Jahr 2003 hat die vor den Toren Augsburgs liegende Region „Wittelsbacher Land“ begonnen, die alten Ochsentriebwege nach Augsburg kulturell und touristisch zu erschließen: es wurden Wander- und Radwege ausgeschildert, Gastronomen servieren regionale Produkte wie Ochsenspezialitäten, Ochsenfeste und Ochsenrennen ziehen Tausende von Besuchern in ihren Bann. Der Erfolg des Projekts hat die Leader-Aktionsgruppe Wittelsbacher Land motiviert, die Initiative zu ergreifen, diesen alten Kulturweg auch international wieder lebendig werden zu lassen.
Oxenweg – inzwischen ein europäisches Projekt
Das vom Wittelsbacher Land im Jahr 2008 veranstaltete Symposium in St. Afra bei Friedberg war die Initialzündung für eine europäische Zusammenarbeit. Entlang der alten Triebwege haben sich im Anschluss daran Leader-Aktionsgruppen aus Ungarn, Österreich und Deutschland zusammengefunden, um gemeinsam ein transnationales Projekt rund um die alten Ochsentriebwege zu initiieren. Auf Treffen der Aktionsgruppen in Ungarn und Oberösterreich in den Jahren 2008 und 2009 wurden die Kontakte ausgebaut und viele Freundschaften geknüpft. Gruppen aus Rumänien und der Slowakei haben Interesse an der Mitarbeit am Projekt angemeldet. Im November 2009 wurde das Projekt Oxenweg von der Europäischen Kommission in Brüssel als „Best Practice Project“ ausgezeichnet.
Text: Max Direktor